Im November 1887 wurde Orth an der Donau zum Mittelpunkt der damaligen Pop-Musik. Kronprinz Rudolf hatte die Brüder Johann und Josef Schrammel und ihre Partner Georg Dänzer und Anton Strohmeyer, mit denen sie das legendäre Schrammelquartett begründet hatten, nach Schloss Orth eingeladen.
Die Schrammels kamen nicht allein, mit ihnen reisten Volkssänger wie der Fiaker Bratfisch und der Kunstpfeifer „Baron Jean“ nach Orth.
Orth an der Donau -
hier spielt die Musik.
Es war Montag, der 14. November des Jahres und in den Auen bei Orth fanden die großen Jagden statt. Kronprinz Rudolf hatte seinen Schwager und besten Freund, den Prinzen Philipp von Sachsen-Coburg geladen, dazu dessen Bruder Prinz August, Schwiegersohn des brasilianischen Kaisers. Auch Prinz Leopold von Bayern, der Ehemann von Rudolfs Schwester Gisela und sein Cousin Erzherzog Franz Ferdinand waren anwesend. Und natürlich Rudolfs Frau, Kronprinzessin Stephanie und ihre Schwester Luise, die Gattin des Coburger-Prinzen Philipp.
Es war eine mehr als illustre Runde, die sich im alten Schloss zu Orth versammelt hatte, die gesellschaftliche Crème des alten Europas. Doch Kronprinz Rudolf hatte beschlossen, seine hochwohlgeborenen Gäste mit einem damals äußerst modernen Wienerlied-Abend zu überraschen. Die Musik, die geboten wurde, stammte aus den Heurigen und Weinschänken der Vorstädte, hatte nichts mit der bei Hofe üblichen Musik zu tun. Und die Brüder Schrammel waren die Stars der Musikszene.
Die Zeitungen waren daher voll, als diese „Popstars“ nun auf dem Schloss des Kronprinzen aufspielten. Genauestens wurde dieser Besuch in der Presse geschildert. Um sechs Uhr Abends begann die „Soiree“, der Kronprinz und seine Gäste trugen Frack, die Damen elegante Ausgehkleider, wie es für einen Abend auf einem Landschloss üblich war. Und die Musiker legten los. Bis drei Uhr morgens ging das Fest am ersten Tag, die Gäste applaudierten vor Begeisterung. Da es am Morgen des nächsten Tages wieder zur Jagd ging, endete der zweite Abend bereits um 23.00 Uhr. Doch die Brüder Schrammel hatten eine besondere Überraschung bereit. Für die Kronprinzessin hatte man den Liedwalzer „Rose von Orth“ geschrieben, für den Kronprinzen den Marsch „Jagdabenteuer“. Voller Begeisterung bat der Kronprinz daraufhin die Musiker, zwei weitere Tage zu bleiben.
Die anderen Gäste waren abgereist, nur das Kronprinzenpaar und die Coburgs blieben auf Schloss Orth, doch das Schrammel-Quartett und auch der Fiakersänger Bratfisch spielten weiter auf.
Kronprinz Rudolf blieb meist mit den Musikern allein zurück und überraschte alle mit seinen Kenntnissen der populären Wienerlieder. Ganz Wien sprach von dem Besuch der Schrammeln auf Schloss Orth und ihr Quartett wurde zu den berühmtesten Interpreten der Wiener Volksmusik. So berühmt sogar, dass der Name „Schrammeln“ sich von diesem Brüderpaar loslöste und zur Bezeichnung für eine ganze Musikrichtung wurde. Beide starben mit nur 43 Jahren kurz nacheinander, zuerst der ältere Johann 1893, zwei Jahre später dann Josef Schrammel. Doch ihre Art zu spielen war da schon zur „Schrammelmusik“ geworden.
Der für die Kronprinzessin komponierte Walzer „Rose von Orth“ war bis in die 1930er Jahre höchstpopulär und wurde auch in den ersten Jahren des Radios eingespielt. Doch der Abend in Orth sollte auch ein tragisches Nachspiel haben. Der Fiakersänger Bratfisch hatte dort den Kronprinzen so begeistert, dass er ihn zu seinem Leibkutscher ernannte. Nur 15 Monate nach den fröhlichen Abenden in Orth wird Bratfisch Rudolf zu seinem tragischen Ende in Mayerling kutschieren.
Autor: Günter Fuhrmann
Günter Fuhrmann stammt aus dem nördlichen Weinviertel. Er hat seine Leidenschaft für Geschichte zum Beruf gemacht und gestaltet Ausstellungen und Museen, schreibt Bücher und dreht Dokus. In der Nachfolge zur Niederösterreichischen Landessausstellung 2022 im Schloss Marchegg suchte er im Auftrag der Region Marchfeld nach Marchfeld Geheimnissen. Wir präsentieren Ihnen hier eine Auswahl davon.