In der Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph entstand die weltberühmte Ringstraße, die rund um die Innenstadt von Wien führt. Sie wurde anstelle der Stadtbefestigung angelegt, die man für den Bau des Prunkboulevards abriss. Aber auch in Groß-Enzersdorf gibt es eine Ringstraße, die wie auch im benachbarten Wien verschiedene Namen trägt.
Es gibt – wie auch in Wien – einen Dr.-Karl-Renner-Ring, dann einen Hans-Kudlich-Ring, einen Josef-Reither-Ring und einen Schießstatt-Ring. In Wien schließt der Franz-Josefs-Kai die Lücke zwischen den „Ring“ genannten Straßenzügen, in Groß-Enzersdorf übernimmt die Mühlleitner Straße diese Funktion als Verbindungsstück.
In Wien verläuft der Ring
anstelle der Stadtmauern,
in Groß-Enzersdorf
jedoch um diese herum.
Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied – von der Länge einmal abgesehen. In Wien verläuft der Ring anstelle der Stadtmauern, in Groß-Enzersdorf jedoch um diese herum! Fast der gesamte Groß-Enzersdorfer Ring grenzt stadtseitig an den Stadtmauern-Park, wo sich hinter einer gepflegten Parkanlage die Mauer aus dem Mittelalter erhalten hat. Teilweise sogar noch mit den wehrhaften Zinnen an der Spitze kann man diese Verteidigungslinie bis heute bewundern.
Groß-Enzersdorf blickt auf eine tausendjährige Geschichte zurück und wurde Anfang des 11. Jahrhunderts den Bischöfen von Freising geschenkt. Der Bischofssitz liegt am Fluss Isar, ca. 30 Kilometer nördlich der bayrischen Hauptstadt München, und zählt zu den ältesten geistlichen Zentren nördlich der Alpen. Bis zum Ende der weltlichen Herrschaft der Bischöfe im Jahre 1803 sollte Freising die Geschicke von Groß-Enzersdorf bestimmen. Das Wappen der Diözese Freising, das „caput aethiopis“, ein gekrönter äthiopischer König auf goldenen Grund, findet sich bis heute auch im Stadtwappen von Groß-Enzersdorf.
So war es ein mächtiger Freisinger Bischof, Berthold von Wehingen, der 1396 für Groß-Enzersdorf nicht nur die Verleihung der Stadtrechte erwirkte, sondern auch die Mauern in der heutigen Form bauen ließ. Auf einem der Tore brachte der Bischof neben dem Äthiopier-Kopf auch sein Familienwappen an, ein breites Band in der Form des Buchstaben „W“, das ebenfalls ins Groß-Enzersdorfer Gemeindewappen wanderte.
Die fünf Tore, die in die Stadt führten, existieren heute jedoch nicht mehr, sondern wurden durch schmucklose Pfeiler ersetzt. Mit zwei Ausnahmen jedoch: Das heute Raasdorfer Tor im Norden der Stadt – einst Wiener Tor genannt – zeigt die alten Wappensteine. Wandert man durch die Stadt an der Kirche vorbei über den Hauptplatz und die Rathausstraße nach Süden, gelangt man zum Wasser- oder Kasernen-Tor. Dieses führte zu einem einst schiffbaren Donauarm, der längst vom Hauptstrom getrennt ist.
Hier sind die Pfeiler mit prächtigen „Tropaia“ geschmückt, so werden solche Darstellungen von Rüstungen und Waffen genannt. Dieses militärische Schmuckelement stammt aus der römischen Antike, daher verwundert es nicht, dass auf den Schildern ein Medusenhaupt mit Schlangenhaaren zu sehen ist. Der martialische Schmuck verweist auf den Namen „Kasernentor“, denn folgt man dem Weg weiter, gelangt man zur ehemaligen Dragoner-Kaserne, die noch heute steht, aber nun als Landwirtschaftlicher Betrieb der Stadt Wien genutzt wird.
Autor: Günter Fuhrmann
Günter Fuhrmann stammt aus dem nördlichen Weinviertel. Er hat seine Leidenschaft für Geschichte zum Beruf gemacht und gestaltet Ausstellungen und Museen, schreibt Bücher und dreht Dokus. In der Nachfolge zur Niederösterreichischen Landessausstellung 2022 im Schloss Marchegg suchte er im Auftrag der Region Marchfeld nach Marchfeld Geheimnissen. Wir präsentieren Ihnen hier eine Auswahl davon.